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Peter Weiss definiert die Ästhetik des Widerstands als ein Werkzeug von der Erkenntnis zum Instrument des Eingreifens. Wieweit kannst Du dem zustimmen?
Zunächst: eine künstlerische Position, gleichgültig ob sie sich der Fotografie, der Skulptur oder der Malerei bedient, ist immer eine Außenseiterposition, die sich im Gegensatz zum Bestehenden definiert und nur aus diesem Spannungsverhältnis ihre Formen entwickelt. Insofern ist Kunst immer Widerstand gegen das Geläufige, Beiläufige, Normale. Insofern definiert sich jede Ästhetik mit Ausnahme der Werbeästhetik an dem Begriff 'Widerspruch' oder 'Widerstand'. Dieses ist noch nicht politisch gemeint, es ist zunächst die ästhetische Dimension. Ich kann mir keinen Künstler vorstellen, der sich in völliger Übereinstimmung mit der jeweiligen Gesellschaft definiert und daraus seine Bilder entwickelt. Es läßt sich sehr leicht nachweisen, daß zumindest seit der Renaissance, seitdem der Künstler in der Geschichte als eine eigenständige Persönlichkeit aufgetaucht ist, sich dieser Widerspruch zum Bestehenden in den Werken deutlich ablesen läßt.
Weiss versteht die Ästhetik des Widerstands durchaus politisch. Er betrachtet die Wechselbeziehung zwischen Politik und Ästhetik. Ihm geht es darum, aus der Ästhetik Erkenntnisse zu gewinnen und daraus politisches Handeln abzuleiten.
Man kann annehmen, daß Bilder Bewußtsein formen und insofern hochpolitisch sind. Das haben die Kirchen gewußt, das haben die Künstler der sozialistischen Bewegung gewußt. Das hat Marx formuliert, das hat Münzenberg formuliert in seiner Rede an die Arbeiterfotografen. Die Kunst ist extrem beteiligt an der Ausformung unseres Bewußtseins. Und insofern ist die Kunst selbstredend politisch. Das Mißverständnis setzt immer dort ein, wo man politisch mit parteipolitisch verwechselt. Einem parteipolitischen Kalkül folgt die Kunst nicht. Sie läßt sich nicht so ohne weiteres einordnen in Taktiken und Strategien der politischen Auseinandersetzung.
Kunst ist immer Widerstand gegen das Normale, Geläufige, Beiläufige.
Sie ist nicht rational, sie ist vor allem sinnlich. Deiner Aussage, daß Kunst generell politisch ist, muß ich doch widersprechen. Auch wenn man unpolitisch ist, ist man in gewisser Weise wieder politisch, indem man sich aus bestimmten Feldern der Auseinandersetzung heraushält.
Wir müssen jetzt definieren, was wir unter 'politisch' verstehen. Der Künstler steht immer in einem Spannungsverhältnis zur Gesellschaft. Insofern ist er ein politisches Wesen. Da er gleichzeitig außerhalb der Gesellschaft steht, gibt es eine gewisse Dynamik in der Einwirkung auf diese Gesellschaft.
Ist es nicht doch so, daß Kunst überwiegend im Sinne des vorhandenen Systems wirkt und daß es die Ausnahme ist, wenn Kunst in der Weise politisch ist, daß sie in Opposition zum herrschenden System steht, dieses System in Frage stellt und nach Perspektiven in Richtung eines besseren Systems sucht? Natürlich: politisch ist alles. Aber ist die Kunst nicht in der Regel lediglich in der Weise politisch, daß sie das herrschende System stützt?
Es gab schon immer den von Marcuse als solchen bezeichneten affirmativen Charakter der Kunst. Der äußert sich aber weniger in der Aktivität der Künstler selbst sondern in der Verwendung von Kunstwerken. Kunst wird gekauft. Kunst wird gekauft wie eine Frau. Kunst ist ein Stück Natur, ein Stück Sinnlichkeit, das aber käuflich ist. In dem Sinne geht Kunst, wenn sie sich den Herrschenden andient, auf den Strich. Auch Fotografie von Politikern ist in der Regel affirmativ. Ein Grundmuster: Wenn Kohl nach Washington reist, zeigt Clinton in die Ferne und Kohl guckt hinterher, und hinten weht die amerikanische Fahne. Kommt jemand nach Deutschland, zeigt Kohl in die Ferne... Von den Politikern wird ganz bewußt die Gestik inszeniert, und der Fotograf fängt diesen Moment der Herrschaftsgeste ein. Hier folgt die Fotografie mehr oder weniger unkritisch alten Bildformen, wie wir sie z.B. von Kolumbus- oder Jeannne d'Arc-Statuen kennen.
Kann man behaupten, daß ein Kunstwerk, das von der Deutschen Bank aufgekauft wird, trotzdem einer Ästhetik des Widerstands zuzurechnen ist?
Das Kunstwerk kann durch die Verwendung uminterpretiert werden. Es ist in der Regel nicht gerichtet. Wir kennen Beispiele aus der Tätigkeit finanziell potenter Sammler. Diese Sammler kaufen Kunst. Und die Kunstwerke bleiben, was sie sind. Aber durch den Kontext, in den sie gestellt werden, kann aus Widerstandskunst Herrschaftskunst werden, z.B. wenn man Kunstwerke in die Deutsche Bank in Frankfurt hängt. Die Bilder werden in großem Maße als Repräsentation für das Geld oder für die Profilierung eines Sammlers verwendet. Die Kunst ist dann nicht mehr das, was sie ursprünglich, vom Künstler aus gesehen, war.
Aber gehört denn zu dem Begriff 'Widerstand' ähnlich dem Begriff 'Engagierte Kunst' nicht, daß der Künstler versucht, Einfluß zu nehmen auf die Art und Weise der Veröffentlichung? Ich behaupte: es widerspricht den Begriffen 'Engagement' und 'Widerstand', ein Kunstwerk an die Deutsche Bank zu verkaufen. Ein Künstler muß seine Kunst anders einsetzen, damit man ihn überhaupt als engagierten Künstler gelten lassen kann.
Da muß ich widersprechen. Gerade die historischen Beispiele, die Peter Weiss anführt, z.B. den Kampf der Giganten, eine Auftragsarbeit für die Griechen, die sich als Sieger empfanden und sich mit den Göttern identifizierten, ist reine Herrschaftskunst. Nur: der Künstler ist dieser nicht unterworfen. Seine Aussage ist viel komplexer und läßt sich im historischen Abstand auch ganz anders interpretieren.
Aber wieviele Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte danach läßt es sich uminterpretieren? In seinem aktuellen Kontext, war es doch, wie Du selber sagst, Herrschaftskunst ... und ist es vielleicht sogar heute noch.
Das ist eine Frage der Sicht. Ich stelle die Gegenfrage. Was ist keine Herrschaftskunst? Diejenigen, die das Geld haben, handeln mit der Kunst. Und diejenigen, die das Geld nicht haben, leisten sich keine Kunst und sind meistens dem Kitsch verfallen. Aufgrund ihrer täglichen Misere brauchen sie die Entlastungsfunktion der Kunst. Das ist ein Begriff von Arnold Gehlen, der uns während unserer Studienzeit beschäftigt hat. Er meinte damit, daß die Kunst angesichts des Finsteren, des Unangenehmen, des Absurden im täglichen Kampf ums Überleben eine hehre, eine höhere, eine befreiende Wirkung hat. Wir haben diese Funktion damals abgelehnt. Wir hatten die Absicht, eine Kunst zu machen, die belastet, im Sinne der These von Marx, daß man den Bewußtseinsdruck erhöhen muß. Das ist das dialektische Gegenstück zur Entlastungsfunktion. Die Entlastungsfunktion schreibe ich heute dem Kitsch und der Werbung zu. Wir haben versucht, Kunst zu machen, für die anderen, für die nicht Herrschenden. Wir sind ganz schön allein geblieben. Das ist aber nichts besonderes. Das ist der Künstler generell.
Es ist ein theoretisches Modell von Peter Weiss. Er wünscht sich eine Erkenntnis zum Handeln. Diesbezüglich müßte Kunst konkret sein.
Du meinst, in dem Sinne, daß Kunst Handlungsperspektiven aufzeigt?
... daß sie Handlung auslöst. Daß sie aufwühlt, daß sie etwas klar macht, einen Bewußtseinszustand herbeiführt und so Handlung ermöglicht.
Mich interessiert Kunst, die Unzufriedenheit mit dem Bestehenden zum Ausdruck bringt. Tut sie das nicht, ist sie affirmativ, ist sie Bestätigung des Bestehenden und letztendlich langweilig. Sie muß eine Gegenposition beziehen.
Dort wo Fotografie nicht zugelassen wird, hätte sie ihre größte Wirkung.
In welchem Maße siehst Du gegenwärtig in der Kunst, daß Gegenpositionen bezogen werden? Ist dies nicht nur in äußerst geringem Maße der Fall?
Da möchte ich Dir Recht geben. Zum Problem des Kaufens von Kunst: Es war für viele eine Überraschung, daß gerade der Schokoladenfabrikant Ludwig und nicht eine politische Organisation sich der realistischen Kunst der DDR und der Sowjetunion annahm. Das zeigt aber auch - das muß man als Künstler bedauern - eine gewisse Wirkungslosigkeit der Kunst. Sie ist zwar eine individuelle Äußerung des Künstlers, aber nicht von vornherein ein Motor in Richtung politischer Handlung. Politisch handeln müssen die politisch Handelnden. Die Künstler schaffen es noch nicht einmal, eine eigene Organisation aufzubauen.
Ich sehe die Arbeiterfotografie als ein Politikum, wenn es auch keine einhellige Position zur Rolle der Fotografie gibt. Es gibt im Verband eine Süd-, eine West- und eine Nordströmung. Die Südströmung ist zur Zeit soziographisch, die Nordströmung dokumentarisch, und die Westströmung ist die am weitestgehend politische. Zurück zum Begriff des Widerstands. Wogegen sollte der Künstler momentan Widerstand leisten?
Ich nehme das Beispiel der Behandlung von Asylanten. Wenn ich ein Gesetz mache, bin ich von den Leuten, um die es geht, weit weg. Wenn ich mit der Kamera daneben stehe und sehe, wie diese Menschen behandelt werden, reagiere ich als Fotograf und Künstler auf die menschliche Situation. In dem Moment entsteht eine fast unerträgliche Spannung zwischen dem, was der Gesetzgeber sich ausgedacht hat, und dem, was im Einzelfall passiert - wenn z.B. Kleinkinder oder schwangere Frauen abgeschoben werden. In diesem Zusammenhang ist die Fotografie das geeignete Medium, geeigneter als Malerei oder Skulptur. Die Fotografie hat den Vorteil, daß sie das Individuelle, Persönliche, Momentane erfaßt. Was ihre Schwäche ist, ist auch ihre Stärke. Und sie setzt diejenigen, die diese Bilder sehen, der Verantwortung aus, die sie mit ihrem Gesetz zu tragen haben.
Im Sinne von Lewis Hine etwas verändern und bewegen?
Genau.
Und was läßt sich in diesem Beispiel mit einzelnen Fotos im Bewußtsein der Verantwortlichen bewegen?
Man wird die Verantwortlichen veranlassen - es sind ja nicht nur Apparate - über Ausnahmeregelungen nachzudenken. Wenn im Rahmen einer Fernsehsendung das Schicksal eines Menschen gezeigt wird, gibt es Verwaltungsbeamte, die sagen: dies ist ein besonderer Fall, da müssen wir etwas unternehmen. Sie werden menschlich, persönlich getroffen. Was die Diskussion über Folter betrifft, z.B. in der Türkei: Es gibt keine Folterfotografie. Wenn es aber Reportagen gäbe von Folterkammern, von Menschen, von denen man nicht nur die Wunden zeigt sondern den Foltervorgang selber, dann würde ein Sturm der Entrüstung auch durch die Bundesrepublik laufen. Dann würde auch die Türkei - aus diplomatischen Gründen, nicht aus menschlichen - dazu übergehen, die Folterpraxis einzustellen. Man kann beobachten: dort wo die Fotografie fehlt, wo sie nicht zugelassen wird, hätte sie ihre größte Wirksamkeit. Und das wissen diejenigen, die sie verbieten. Das markanteste, schon oft erwähnte Beispiel ist der Golfkrieg. Der Vietnamkrieg wäre ganz anders verlaufen, wenn es auch dort keine Fotografie gegeben hätte.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie glaubhaft Bilder sind - wenn die Möglichkeit besteht, sie zu inszenieren.
Jetzt sind wir an einem ganz wichtigen Punkt, wo die Massenmedien und die Fotografie auf dem Prüfstand stehen. Es gibt die Meinung: da man die Fotografie manipulieren kann, ist sie unglaubwürdig. Wenn man diese Position vertritt, müßte man konsequenterweise aufhören zu sprechen. Mit keinem Medium kann man besser lügen als mit der Sprache. Man müßte den Journalismus ganz abschaffen.
Herr Wiegand von der FAZ ist da anderer Meinung. Er argumentiert genau umgekehrt. So wie die FAZ mit Worten nicht lügen würde, geschehe das auch mit Bildern nicht.
Diese Logik ist wirklich 'bestechend'. Wortlügen lassen sich beliebig aneinanderreihen. Die findet man überall.
Die Unglaubwürdigkeit der Medien ist ein Problem.
Hier ist der engagierte Fotograf gefragt, nicht der gekaufte. Aber: daß ein Künstler käuflich ist, kann man ihm vorwerfen. Ein Künstler oder ein Fotograf ist aber auch kein Heiliger. Menschen sind käuflich.
Peter Weiss greift einen Gedanken von Walter Benjamin auf: Die Geschichte sei immer die Geschichte der Herrschenden, und somit sei die Kunst ein Dokument der Barbarei. Die Kunst ist selten eine Kunst von unten, wenn auch heute im 20. Jahrhundert die Möglichkeiten weitergehendere sind als in den Zeiten, deren Kunstwerke Peter Weiss diskutiert. Bei der Beurteilung der Kunst von damals gehen wir sehr von unserem heutigen Verständnis aus.
So wie der engagierte Künstler die Wirklichkeit - was immer sie ist - gegen den Strich bürstet, muß man die Kunstwerke der Geschichte gegen den Strich lesen - wie das z.B. beim Pergamon-Altar möglich ist. Aus einem Herrschaftsmonument kann man die Problematisierung der Unterdrückung oder der Zerstörung von Natur herauslesen.
Ästhetik des Widerstands im Auftrag der Herrschenden ist nicht denkbar.
Eine andere Ikone ist die des Händeschüttelns.
Was das angeht, bin ich übrigens dem Fernsehen dankbar, das als zeitliches Medium in der Lage ist, den Unsinn des Händeschüttelns deutlich zu machen. Die Politiker lassen sich überhaupt nicht los. Wenn ich Euch so lange die Hand geben würde, wäre die Frage zu stellen, wo denn der Fotograf ist. Auf derartige Fotografie können wir verzichten. Wir! Aber die Öffentlichkeit in ihrer politischen Machtkonstellation offensichtlich nicht.
Wieweit denkst Du, kann Fotografie heute noch Widerstand gegen herrschende Strukturen leisten? Ist Fotografie im Zuge der technischen Entwicklung, in der Konkurrenz mit den anderen Medien wie Film, Fernsehen, Internet nicht hoffnungslos unterlegen? Spielt Fotografie überhaupt noch eine halbwegs bedeutende Rolle?
Ich bin gegen eine derartige Trauermusik - nicht nur weil ich selber fotografiere, sondern auch aus konkreter Erfahrung. Das bewegte Bild rauscht vorbei. Stehende Bilder prägen sich, sofern markante Situationen dargestellt werden, wesentlich stärker ein. Die Ikonen der bildjournalistischen Fotografie zeigen dies. Man denkt bei Vietnam an das Foto der Erschießungsszene, nicht an den Film, den es auch gibt. Das Foto ist im Kopf, und man verbindet es mit Vietnam. Dieser Sachverhalt läßt sich auch auf andere Situationen übertragen. Aber es gibt auch einen Punkt, den man beachten muß: entscheidend - wenn man politisch denkt - ist die Veröffentlichung in einem Massenmedium. Hätte 'Life' die Fotos nicht gedruckt, wäre die politische Wirkung nicht eingetreten. Man muß - auch wenn man die Massenmedien skeptisch beurteilt - versuchen, solche Bilder in die Massenmedien zu kriegen.
Ist eine Illustrierte wie der 'stern' heute tatsächlich ein adäquates Medium für Fotografie? Die Illustrierte muß man immerhin noch kaufen, während das Fernsehen ungefragt zu jedem nach Hause kommt. Und Fernsehen in Kombination von Bild und Ton wirkt wesentlich stärker ins Unterbewußtsein als eine Fotografie mit Text. Ein Foto wie das von der Erschießungsszene kann in einer Illustrierten wie dem 'stern' auch untergehen.
Es geht jetzt um politische Wirkung. Ich möchte das Printmedium nicht unbedingt durch die elektronischen Medien geschlagen geben. Ob ein Beitrag in einer Sendung wie 'Monitor' oder 'Report' die gleiche Wirkung wie die Veröffentlichung im 'Spiegel' gehabt hätte, z.B. als dieser die Barschelaffäre unter Verwendung auch der Titelseite des Magazins aufgegriffen hat, wage ich zu bezweifeln. Auch eine Sendung wie 'Monitor' wird nicht von allen gesehen, insbesondere nicht von den Leuten, die eigentlich anzusprechen wären.
Aufgebaute Kulissen muß Engagierte Fotografie umstürzen.
Anders wäre es bei einer Veröffentlichung in der 'Tagesschau'. Aber da stellt sich die Frage: wer gestaltet die Medien?
Da ist die Reihenfolge umgekehrt. Die 'Tagesschau' reagiert auf das, was der 'Spiegel' bringt und nicht umgekehrt. Daran zeigt sich, daß die Printmedien einer Fernsehreportage in der Wirkung durchaus gewachsen sind. Was die Zeitschrift 'Arbeiterfotografie' betrifft: sie ist eine Verbandszeitschrift, kein Massenmedium. Im Hinblick auf politische Wirkung kann sie nur eine Art Versuchsanordnung im Reagenzglas darstellen, deren Resultate man in die Massenmedien oder in die politischen Parteien einfüttern muß. Das ist ein Problem: wenn man diesen gegenüber kritisch eingestellt ist - und das muß man - darf man trotzdem nicht den Fehler machen, sich zu isolieren und zu sagen: damit will ich nichts zu tun haben. Das wäre Aussteigermentalität. Das ist der Widerspruch, in dem man steckt: Wenn man politisch wirken will, braucht man Organisationen. Wenn man Organisationen hat, braucht man Disziplin. Wenn man Disziplin hat, ist es mit der individuellen Stellungnahme vorbei. Und Disziplin ist nichts, worauf Fotografen, Journalisten oder Künstler sich einlassen dürften.
Kann dann z.B. Klaus Staeck ein wirklich engagierter Künstler sein, wenn er in der SPD Mitglied ist?
Ich halte das für eine seiner größten Schwächen. Klaus Staeck ist für mich in diesem Sinne auch kein interessanter Künstler - im Gegensatz zu Heartfield. Heartfield hatte das 'Glück', daß er sich in der Zeit der Auseinandersetzung mit dem Faschismus ganz unmißverständlich artikulieren konnte. Er mußte sich nicht anpassen. Aber er hatte die größten Probleme, als er in der DDR weitergearbeitet hat.
Auch Heartfield war Mitglied einer Partei - der KPD.
In der Zeit aber war die KPD in einer historisch ganz anderen Situation. Sie war eine revolutionäre Partei. Später ist sie ein Machtinstrument geworden. Und wenn eine Partei ein Machtinstrument wird, werden auch die Künstler funktionalisiert zur Erhaltung der Macht. Ihr Schaffen zeichnet sich dann nicht durch eine Ästhetik des Widerstands aus. Eine Ästhetik des Widerstands im Auftrag der Herrschenden - und seien es sozialistische Herrscher - ist nicht denkbar.
Hieße das: Den Arbeiten von Klaus Staeck ist noch solange eine Ästhetik des Widerstands zuzurechnen, wie die SPD in der Opposition ist und nicht in der Regierung?
Das wäre zu einfach gesagt. Die SPD ist keine revolutionäre Partei. Da ist es fast gleichgültig, ob sie in der Opposition oder in der Regierung ist. Die Unterscheidung zwischen den drei Buchstaben fällt immer schwerer.
In Deinen 'Gestaltungsfragen an Arbeiterfotografen' hast Du uns dialektische Verfahrensweisen nahegelegt - Entwurf und Gegenentwurf - die Synthese als ein Entwurf, der wiederum eines Gegenentwurfs bedarf - keine Betrachtung komme regelrecht zum Schluß.
Die Dialektik Hegels, die von Marx ins Politische gewendet wird, hat eine gewisse Verführung. Nicht allein dadurch, daß ich etwas anderes mache als andere, entfessele ich eine Dynamik - in der Kunst oder in der Gesellschaft - oder aktiviere politische Bewegungen. Unbedingt aber wichtig ist Distanz und Widerstand gegenüber dem Bestehenden, mit dem man unzufrieden ist, und nicht Identifikation.
Du hast einmal gesagt, es sei die Aufgabe eines engagierten Künstlers, die Kulissen einer Kulissenwelt, in der er lebt, zu kippen und das dahinterliegende sichtbar zu machen. Andererseits hast Du in anderem Zusammenhang kategorisch geäußert, es könne nicht Aufgabe engagierter Fotografie sein, Lügen als solche zu entlarven und durch die Wahrheit zu ersetzen, zu versuchen, die Wahrheit sichtbar zu machen. Darin sehe ich einen Widerspruch. Läßt der sich auflösen?
So genau dürfte ich das nicht gesagt haben. Die Begriffe Lüge und Wahrheit sind nicht so leicht zu definieren. Das würde voraussetzen, daß es Wahrheit im absoluten Sinne gäbe. Wir leben in Erkenntnisprozessen. Aber wenn man erkennt, daß die aufgebauten Kulissen mit dem, was man als Realität wahrnimmt, nicht übereinstimmen, muß man diese umstürzen.
Kunst, die sich der Macht verschreibt, ist Kitsch.
Damit aber kommt man der Wahrheit doch zumindest ein Stück näher, wenn sie auch nicht absolut zu erreichen ist. Man befindet sich auf dem Weg dorthin. Z.B. Heartfield: mit seiner berühmten Montage 'Millionen stehen hinter mir' entlarvt er, macht Zusammenhänge deutlich und kommt damit der Wahrheit ein gutes Stück näher.
Unbedingt. - Es gab in Berlin die Ausstellung 'Kunst und Macht'. Kunst und Macht passen nicht zusammen. Die Ausstellung ist in diesem Sinne eigentlich unsinnig. Eine Kunst, die sich der Macht verschreibt, ist Kitsch. Das kann man insbesondere in der Kunst der Dritten Reichs sehen. Für mich ist das, was das Dritte Reich an bildnerischen Arbeiten hervorgebracht hat, keine Kunst. Das gilt auch für die Filme Leni Riefenstahls.
Im Sinne der Herrschenden ist sie durchaus Kunst. Die Herrschenden würden sich ja hüten, diese Art von Kunst als Nicht-Kunst zu bezeichnen.
Es gibt die Auffassung, alles was im Rahmen hängt, sei Kunst. Diese Auffassung kann ich ganz und gar nicht teilen. Nur Kunst der Widerstands ist Kunst, nicht aber Kunst als Lobpreis auf die bestehenden Verhältnisse.
Wie beurteilst Du die Möglichkeit, mittels der Kunst Perspektiven zu vermitteln?
Ich selber sehe mich sehr in der Gegenwart und in der Reaktion auf die unmittelbare Zukunft. Mir geht es in erster Linie darum, Wirklichkeit zu verarbeiten, um zu leben und zu überleben. Mittels der Kunst großangelegte Perspektiven und Gesellschaftsentwürfe entstehen zu lassen, ist möglicherweise ein gefährliches Unterfangen. Auch der Gesellschaftsentwurf des Christentums hat zu Verbrechen geführt, wie der kommunistische unter Stalin oder der kapitalistische. Dies geschieht, weil sie das Handeln einem Prinzip unterordnen.
Wie siehst Du die Perspektiven in gestalterischer Hinsicht? Seinerzeit waren es z.B. die russischen Avantgardisten wie Rodtschenko, die eine neue Ästhetik entwickelt haben. Wie sieht das neue Bild heute aus?
Es bedarf einer gewissen Kontinuität in der Fotografie. Man kann den Horizont im Bild kippen oder nicht. Interessant erscheint mir zur Zeit das Synthese- und Montage-Denken, weniger das Einzelbild.
Was vermittelst Du beispielsweise Deinen Studenten?Wie reagierst Du, wenn Dir eine Arbeit nicht zusagt?
Wenn mich eine Arbeit langweilt, sage ich es. Und dann versuche ich herauszufinden, woran es liegt. Dann sage ich : Es kann an mir liegen, es kann an Dir liegen. Es kann auch daran liegen, daß es bei Dir keinen Funken gibt, und dann kann der auch nicht überspringen. Wenn Du nicht brennst, kannst Du mich nicht anzünden. Ich versuche, die Studenten in Brand zu stecken. Manchmal gelingt mir das, manchmal nicht. Wenn jemand von mir Wahrheiten erwartet und wissen will, was richtig und was falsch ist, dann sage ich: das kann ich nicht. Ich weiß es nur für mich. Wenn ich Dir jetzt sagen würde, was ich machen würde, und Du machst es, dann ist es genau falsch.
Nur weil man nicht alles sehen kann, sollte man nicht die Augen schließen.
Welche Rolle spielen für Dich Regeln in der Bildgestaltung? Und inwieweit sollte man sie anwenden?
Gestaltungsregeln sind höchstens eine Krücke. Man sollte sie erstens kennen und zweitens kaputtmachen. Von Picasso stammt der Satz: „Ein Bild ist eine Summe von Zerstörung.“
Eine Idee von Peter Weiss ist auch, die Kunst denjenigen zugänglich zu machen, die dazu sonst kaum Zugang haben.
Das ist auch für mich ein ganz wichtiger Ansatz. Leute, die in der Kunst nicht zuhause sind, sind oft aufgeschlossener und weit weniger borniert als Leute, die sich in den Kunstvereinen bewegen und der jeweils herrschenden Ästhetik und Kunstauffassung - herrschend im eigentlichen Sinne des Wortes.
Uns interessiert Deine Reaktion auf eine Äußerung Gisèle Freunds. In einem Interview im Tagesspiegel (9.1.97) auf die Frage „Glauben Sie, daß der Einfluß der Fotografie heute eher schwindet?“ antwortet sie: „Ja, heute ist sie überhaupt nichts mehr wert. Die Fotografie war nicht das, wovon ich glaubte, daß sie es sein könnte: ein Mittel um festzustellen, was sich in der Welt ereignet.“
Das halte ich für Unsinn - das sage ich in allem Respekt vor dieser ganz wichtigen Frau. Sie setzt hier ihren eigenen Pessimismus absolut. Zur Zeit macht einer meiner Studenten eine Reportage über die psychischen Schäden bei Soldaten, die im Tschetschenien-Krieg zum Einsatz kamen. Sie haben gemordet. Sie haben ihre Freunde verloren. Auf russischer Seite sind meines Wissens 90.000 Soldaten gefallen. Sie haben Dörfer niedergebrannt. Sie haben gemetzelt. Daß die Fotografie - in diesem Fall zusammen mit Interviews und Hintergrundinformation - keinerlei Wirkung mehr habe, kann ich nicht einsehen. Ich würde die Dame gerne fragen, mit welchem Medium sonst sie denkt, mehr Wirkung zu erzielen.
Denkst Du, daß es in irgendjemandes Interesse sein könnte, Fotografie unglaubwürdig und damit unwirksam zu machen?
Ich möchte das mit großer Vorsicht, aber mit ja beantworten - mit großer Vorsicht deshalb, weil wir seinerzeit mit der Manipulationstheorie etwas Richtiges erkannt haben, nämlich daß die Medien das öffentliche Bewußtsein manipulieren, aber wir uns damals einen konkreten Gegner vorgestellt haben. Der ist bei der Komplexität unserer Gesellschaftsordnung heute aber nicht so ohne weiteres zu benennen. Aber die Behauptung, Bücher und Bilder seien vollkommen unwirksam hieße, den Kampf aufzugeben und in Bewußtlosigkeit zu versinken. Nur weil man nicht alles sehen kann, sollte man nicht die Augen schließen. Und es gibt für mich kein geeigneteres Mittel, das, was die Augen sehen, festzuhalten, als die Fotografie. Viel mehr kann die Fotografie nicht. Aber das ist schon eine ganze Menge.
Das Gespräch mit Jörg Boström führten Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann.
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