Bremen, 1991 - Es ist fürchterlich: Nach jedem großen und erfolgreichen Projekt fällt die Arbeiterfotografie-Gruppe in ein tiefes Loch, auf dessen dunklem Boden ein neues Projekt gesucht, ertastet, erstolpert wird. Nach unserem Krankenhaus-Projekt war es mal wieder soweit. Eines war klar: Ein Kooperationspartner mußte her, eine Organisation oder Institution, die Bedarf hat an Fotos und mit den Fotos irgendein Produkt (Ausstellung, Buch usw.) erstellt, das sie in die gesellschaftliche Zirkulation gibt. Für die systematische Verbreitung unserer Bilder würden die Kräfte unserer kleinen Gruppe nicht ausreichen. In dieser Situation bot sich die Bremer Umweltberatung (BUB) an, ein Zusammenschluß verschiedener Initiativen im Ökologiebereich. Es gab auch von der sachlichen Seite her gute Gründe, den Autoverkehr in der Stadt zu problematisieren: Die Staus nehmen zu, die Umweltbelastung ebenfalls. Die Bremer Lokalpolitik diskutiert erhitzt seit Jahren den Verkehr und die Bürgerschaftswahlen (Landtag) nahten heran. Unser Auftrag in Absprache mit der BUB lautete, Bilder zu erstellen für eine Ausstellung mit dem Titel "Stadt statt Auto". Um herauszufinden, worauf es ankommt, informierten wir uns in ökologischer Fachliteratur und in Gesprächen mit einer Vertreterin der BUB. Parallel dazu sammelten und analysierten wir, was in gängigen Zeitschriften an Auto-Werbe-Bildern publiziert wird: Staus gibt's in diesen Fotos nicht. Die Totale ist die vorherrschende Einstellungsgröße - viel Land(!)schaft mit EINEM Auto darin. Dieser Phantasiewelt wollten wir ein realistisches Bild vom städtischen Verkehr entgegensetzen und gleichzeitig Alternativen aufzeigen, soweit sie mit fotografischen Mitteln bereits erfaßbar sind. Waren wir zunächst sehr auf die Autos und den fließenden Verkehr orientiert, so verschob sich doch - wie fast immer in einem Projekt - bald das Interesse, und zwar in Richtung Infrastruktur und Menschen. Uns faszinierte die Größe und Kompliziertheit der Verkehrsanlagen: Hochstraßen, Tunnel, Autobahnkreuze, Brückensysteme mit ihren Schilderwäldern, Geländern, Leitplanken, Beleuchtungsanlagen und den schier unglaublichen Entwässerungssystemen. Ein Autobahnkreuz zu Fuß zu durchschreiten, ist eine eigenartige Erfahrung. Einiges von dem erlebten Erschrecken ob der Monumentalität findet sich in unseren Bildern wieder. Wir fragten uns: Wann hört diese Gigantomanie auf? Gegenwärtig erleben wir jedoch noch, daß täglich große Naturstücke den Verkehrsbauten zum Opfer fallen und die kleinen Bauten durch große ersetzt werden, den großen folgen die ganz großen usw. In den Bildern finden sich die Menschen wieder, die alle unter der heutigen Verkehrsstruktur leiden, besonders Alte und Kinder. Die öffentlichen Verkehrsmittel stellen ein eigenes Kapitel dar. Sie sind im Augenblick nur selten eine echte Alternative zum Auto, müssen es jedoch in Zukunft auf jeden Fall werden: schneller, bequemer billiger, besser koordiniert usw. Verkehrsinitiativen gibt es in Bremen etwa vierzig(!). In der Regel streiten sie für die Verkehrberuhigung ihrer Straße, bzw. gegen den geplanten Ausbau zur Rennstrecke. Auch diese Auseinandersetzungen finden sich in unseren Bildern. Straßenfeste werden im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße gefeiert. Dort wo die Straßen beruhigt sind, erobert sich die Natur schnell die verlorengegangenen Räume zurück: Sofort wachsen wieder Pflanzen zwischen den Steinen, die ersten Insekten summen. Vielleicht kommen bald auch die Vögel wieder... Text aus Arbeiterfotografie Heft 70 |